Wie sich Altfeld in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat.

Vor 40 Jahren wurde das Dorf eingemeindet nach Marktheidenfeld. Der Bau der Autobahn und der „Aufstieg“ zum Industriestandort sorgten für einen gewaltigen Sprung in die „Neuzeit“.
Am Jöspershecklein, wo im Westen Altfelds das Siedlungsgebiet direkt an das Gewerbeareal angrenzt. Foto: Günter Reinwarth

Altfeld im Jahr 1946: Bürgermeister Zacharias Reiner steht vor einer Herkulesaufgabe. Er muss 276 Flüchtlinge und Heimatvertriebene mit Wohnraum versorgen. Die Aufgabe gelingt. Einheimische und Neubürger finden zusammen, in den fünfziger Jahren auch in mancher Ehe. In den Jahren des Auf- und Umschwungs wird jede Hand gebraucht. Schließlich waren 22 Bauernsöhne aus dem Dorf im Krieg geblieben, 13 weitere standen auf der Vermisstenliste des Roten Kreuzes.

Das Leben war zunächst bescheiden. Junge Familienväter brachten damals in der Woche 40 bis 50 Mark nach Hause. Ein Maurer verdiente 1,10 Mark in der Stunde. Da und dort tat auch die Heimarbeit der Haushaltskasse gut. Man denke nur an die geschickten Näherinnen und Klöppelfrauen aus dem Erzgebirge, die der Marktheidenfelder Lederfabrik Wiesner zuarbeiteten.

Die bäuerliche Selbstversorgung jener Jahre von der eigenen Scholle, aus dem eigenen Garten und aus der Tierhaltung war unverzichtbar. Es wurde Brot gebacken, selbst „gebuttert“, zentnerweise kamen die Kartoffeln in den Keller, wo auch Gartenfrüchte „eingeschlagen“ und konserviert wurden. Nicht zu vergessen die Milch. Zu jener Zeit waren etwa 50 Milchablieferer im Ort registriert.

Ende der fünfziger Jahre war auch in Altfeld das zarte Pflänzchen „Wirtschaftswunder“ zu spüren. Man kaufte wieder Butter statt Margarine und fragte beim Metzger nach magerem statt nach fettem Fleisch. Bald lösten auch echte Kaffeebohnen den „Lindes“ ab. 70 Bauern bearbeiteten Betriebsgrößen zwischen drei und 38 Hektar. Für einen Zentner Roggen bekamen sie 14 Mark.

Fast drei Jahrzehnte lang saßen in Altfeld zwei Männer namens Fertig auf dem Bürgermeistersessel. Zacharias Reiner war zunächst von den Amerikanern eingesetzt und 1946 für zwei Jahre wiedergewählt worden. Bei der zweiten Nachkriegswahl 1948 erhielt Ernst Fertig mit deutlicher Mehrheit das Vertrauen der Bürger ausgesprochen. Fertig musste damals mit einem Gemeindehaushalt von knapp 100 000 Mark zurechtkommen. So viel kostete allein die in drei Bauabschnitten realisierte Kanalisation, ähnlich teuer kamen der Ausbau der Ortsstraßen und die neue Schule mit Gerätehaus. Gewerbesteuereinnahmen: Fehlanzeige!

Autobahn vor 55 Jahren eröffnet

Auf Ernst Fertig folgte sein Neffe Georg Fertig, heute ein rüstiger Mann von 91 Jahren, als Bürgermeister. Dieser Georg Fertig, im Dorf nur als „Schulze Schorsch“ bekannt, kümmerte sich mit seinem Gemeinderat bis zur Eingemeindung nach Marktheidenfeld um die weitere Verbesserung der Daseinsvorsorge. Als Fertig den Rathausschlüssel übernahm, hatten die staatlichen Verkehrsplaner vor dem Hintergrund des geplanten Autobahnbaues längst für das Umfeld Altfelds die Weichen für die künftigen Verkehrsströme gestellt. Der Zubringer aus Marktheidenfeld bekam eine gerade Linienführung direkt zur Autobahn, er durchschnitt das Dorf, nahm ihm aber auch den Durchgangsverkehr. Die Umgehung nach Michelrieth wurde gebaut.

Am 27. Oktober 1961, vor jetzt fast 55 Jahren, machte das Straßendorf mit der Eröffnung der Autobahn Frankfurt-Nürnberg einen gewaltigen Schritt in die Zukunft. Bei der Verkehrsfreigabe der A 3 durch Minister Hans-Christoph Seebohm war freilich noch nicht abzusehen, dass diese Magistrale zwischen dem Nordwesten und Südosten Europas Altfelds Aufstieg zum Industriestandort wesentlich beeinflussen würde.

Als weitsichtiger Kommunalpolitiker legte Georg Fertig den Grundstein für den wirtschaftlichen Wandel Altfelds. Das Bauerndorf wurde Industriestandort. Am Jöspershecklein wurden vier Hektar Gewerbefläche ausgewiesen und später erweitert. Heute sind am Jöspershecklein unter anderem das Braun-Distributionszentrum und das Einkaufsland International zu Hause. Als erster Gewerbebetrieb siedelte sich am westlichen Ortsrand Okalux an. Die Firma zählt mittlerweile rund 50 Mitarbeiter und fertigt hochwertiges Isolierglas für Abnehmer bis nach Australien und in die Vereinigten Staaten. Nicht zu vergessen ist die Firma Mytec, ein Spezialist für Präzisionswerkzeuge. Unter der Ägide der Stadt Marktheidenfeld wurde später in Sichtweite des Jöspersheckleins – zwischen Autobahn und Kreisstraße nach Michelrieth – noch das Schlossfeld erschlossen. Hier finden sich heute die Adressen von Cummins, Hilite International, Schneider Electric und Del Monte.

„Ein Straßendorf geht mit der Zeit“ titelte die Main-Post am 17. November 1962. Berichtet wurde von reger Bautätigkeit und einem Anstieg von 89 auf 114 Hausnummern in den vergangenen 17 Jahren. Noch 1952 sei Altfeld das „Dorf der Fahrräder“ gewesen, mittlerweile waren 40 Personenwagen zugelassen und viele landwirtschaftliche Anwesen saniert worden. 22 neue Häuser lockerten die Siedlungsstruktur auf.

Schon früh zeigte sich Altfeld für technischen Errungenschaften der Neuzeit offen. Bereits 1895 war eine Dampfdreschmaschine hier unterwegs. Fünf Jahre später konnte man nach „Hädefeld“ telefonieren. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg wurde der Ort mit einem Motorpostwagen angefahren.

Flurbereinigung hieß das staatliche Ordnungsinstrument, das die Altfelder Agrarstruktur entscheidend veränderte und die Zahl der Grundstücke um 90 Prozent verringerte. Der Bau der Autobahn im Süden Altfelds machte ein zweites Verfahren notwendig. Allerdings mussten die Landwirte nochmals 38 Hektar Feld hergeben. Neue Traktoren lösten den Pferdebestand ab, von einst 50 Rössern blieben nur wenige übrig.

Für Marktheidenfeld votiert

Neu gezogen wurden zweieinhalb Jahrzehnte nach Kriegsende auch die kommunalpolitischen Grenzen. Dreieinhalb Jahre lang konnte Altfeld, das heute rund 800 Bürger zählt, nach der Eingliederung der Nachbarorte Michelrieth und Oberwittbach im Jahre 1972 zunächst mit einer doppelten Einwohnerzahl aufwarten – bis sich die kommunale Landkarte neu ordnete. So votierten zunächst im Frühjahr 1975 bei einer Umfrage 269 Altfelder für die Bildung einer Verwaltungsgemeinschaft im Raum Marktheidenfeld. Das letzte Wort hatten allerdings am 31. Juli des gleichen Jahres die Gemeindeväter, als sie knapp mit 7:5 für eine Eingemeindung zum 1. Januar 1976 in die Stadt Marktheidenfeld stimmten.

Marktheidenfelds Bürgermeisterin Helga Schmidt-Neder blickt vier Jahrzehnte später auch mit einem Fünkchen Dankbarkeit auf die Entwicklung Altfelds zurück, wenn sie gesteht: „Ohne Altfeld hätte die Stadt Marktheidenfeld nie diese Entwicklung genommen.“ In gleichem Atemzug erwähnt sie allerdings auch die wirtschaftliche Stärke der Kernstadt selbst.

Sieht man einmal vom geplanten Generationenpark als kommunalem „Extra-Schmankerl“ an die Altfelder Bürger ab, dann darf der Stadt mit der geplanten Ausweisung eines 40 Hektar großen Gewerbegebietes an der Söllershöhe zwischen Altfeld und Eichenfürst sicher ein gewisses Maß an „industrieller Vorsorge“ für den Stadtteil bescheinigt werden. Dass die Altfelder Landwirte auf den möglichen Verlust wertvollen Ackerlandes verweisen, ist nachvollziehbar.

Mit der industriellen Entwicklung geht in Altfeld eine steigende Lebensqualität einher – mit finanzieller Hilfe der Stadt, mit Investitionen der Wirtschaft und des Bundes. Ein neuer Kindergarten, ein neues Gerätehaus für die Feuerwehr, die neue Tankstelle, der Ausbau der Autobahn auf sechs Spuren und ein 21 Einheiten umfassendes Wohnprojekt auf dem ehemaligen Gelände des Gasthauses „Weißes Ross“ setzen deutliche Entwicklungspunkte für den Stadtteil, der sich zudem rühmen kann, den einzigen Flugplatz mit asphaltierter Landebahn im Landkreis zu besitzen.

Leben und Arbeiten in Altfeld in den Nachkriegsjahren

Wie vergnügte sich in den Nachkriegsjahren die Dorfjugend, für die Taschengeld ein Fremdwort war? Die schon etwas Älteren schauten beim „Hauswirt“ (Löwensteiner Haus) oder beim „Stern-Wirt“ den Schafkopfprofis über die Schulter, immer darauf hoffend, den einen oder anderen Trick abschauen zu können. Die halbe Bier kostete damals in der Wirtschaft 50 Pfennige, ein „Belegtes“ (mit Leberkäse belegtes Brötchen) war ebenfalls für ein paar Groschen zu haben. Auf großes Interesse stießen die Filmvorführungen im Hauswirtssaal.

Die Selbstversorgung war in den ersten Nachkriegsjahrzehnten auf den Bauerhöfen ausgeprägt. Sie sicherte das Überleben und ein bisschen mehr. Es wurde ein- bis zweimal im Jahr geschlachtet. In den Kellern gärte Jahr für Jahr hektoliterweise der „Öpfelmoust“ (Apfelwein) zum damals beliebtesten Haustrunk, der ja so gut wie nichts kostete, heran. Quasi ein Naturalien-Zubrot verdiente sich die eine oder andere heimatvertriebene Familie während der Erntezeit auf den Getreidefeldern mit dem Sammeln von liegengebliebenen Weizen- oder Korn-Ähren.

Die Getreidereste wurden zu Mehl und manchmal von der Bäckerei Kaspar Wolf auch zu Brot verarbeitet.

In der Erinnerung müssen auch dem Thema „Wintersport“ ein paar Zeilen gewidmet werden. Wintersport in Altfeld? Das mag zwar im ersten Moment etwas übertrieben klingen, entspricht aber voll den Tatsachen. Die Altfelder, die heute Mitte siebzig sind, werden sich noch gut an die „weißen Wochen“ erinnern können. Was lief damals auf zwei Brettern im „g‘führigen Schnee“ an den etwa 200 Meter langen Hofberg-Hängen, gut 1000 Meter vom Dorf entfernt zwischen Altfeld und Eichenfürst gelegen, doch ab! Mit den grün-weißen und mit alten Lederbindungen versehenen Wehrmachtsskiern trotteten die Schulkinder, wenn sie die von ihren Lehren Nikolaus Wießler und Karl Hofmann aufgegebenen Hausaufgaben gemacht hatten, dem Erzgebirgler Adalbert Reinwarth, der in seiner Heimat ein nicht ganz unbekannter Wintersportler gewesen war, in Richtung Hofberg zum Skiunterricht hinterher. Gegen einen möglichen Sturz musste meistens der „Schneepflug“ herhalten, der fast von jedem Altfelder „Wintersportler“ recht ordentlich beherrscht wurde.

Eine seltene „Einnahmequelle“ für die Dorfjugend, begehrt und ergiebig, waren große Feste. Als die Freiwillige Feuerwehr ihr erstes Nachkriegsjubiläum feierte, fieberten die Jugendlichen der Entscheidung entgegen, für welche Gastfeuerwehr man wohl beim Festzug durch das 1,3 Kilometer lange Straßendorf das „Täfelchen“ als hölzerne Visitenkarte tragen durfte. Wer das Glück hatte und eine Gastwehr mit 20 oder mehr „Blauröcken“ anführen durfte und nach dem Festzug in seinem Geldbeutel 20 oder 30 Mark „Gage“ hatte, der war der Glückseligkeit recht nahe.

Hoch im Kurs stand in den „Fünfzigern“ auch der SV Altfeld mit dem Fußballsport. Es war eine geradezu euphorische Zeit, als die Kicker in den dunkelroten Trikots dem runden Leder auf dem Sportgelände am Rande des Eichholz-Waldes hinterherspurteten. Die ersten Auswärtsspiele besuchte der SV Altfeld mit seinen Aktiven und Schlachtenbummlern mit einem Omnibus, dessen Sitzreihen mit Holzbänken ausgestattet waren.

Geradezu sehnsüchtig wurde damals der Wohnungswechsel von Emil Miosga von der Rhön nach Altfeld erwartet. Fast täglich stand man vor dem Vereinsschaukasten und suchte im Aushang, wann wohl der begnadete Fußballtechniker Miosga für den SV Alfeld spielberechtigt sein und sein Pass den Verein erreichen würde.

Hier zum Originalartikel in der Main-Post

 

Visits: 8